Made in Germany in der Dauerstagnation
17. November 2025
Lesezeit: 5 Min
Im "Makromonitor" ordnet unsere ING-Volkswirtin Franziska Biehl einmal pro Quartal die aktuellen makroökonomischen Geschehnisse in Deutschland, Europa und der Welt ein.
Wer sich im Sommer über die Verbesserung der Frühindikatoren gefreut hat, dürfte bei den Wachstumszahlen fürs dritte Quartal Ende Oktober überrascht gewesen sein: Die deutsche Wirtschaft ist erneut leer ausgegangen – und damit weiterhin so groß wie Ende 2019. Die Dauerstagnation hält an, belastet durch schwache Exporte und privaten Konsum.
Kein Wunder angesichts der handelspolitischen Herausforderungen der vergangenen Monate. Für die Industrie bleibt der starke Euro, vor allem aber Präsident Trumps Zollpolitik eine Belastung. In den vergangenen Jahren gingen rund 10 % aller deutschen Exporte in die USA. Bereits im zweiten Quartal 2025 fiel dieser Anteil unter 10 %, und die Daten für das dritte Quartal deuten auf eine Fortsetzung des Rückgangs hin. Und auch China ist längst nicht mehr der dankbare Abnehmer, der es einmal war.
Vom wirtschaftlichen Schwergewicht zum Zaungast
Während weniger deutsche Produkte nach China exportiert werden, steigt der Anteil chinesischer Importe nach Deutschland. Wer bei Fahrzeugen, Möbeln und Maschinen an „Made in Germany“ denkt, sollte künftig genauer hinschauen – denn bei diesen Produkten ist China inzwischen ein ernstzunehmender Konkurrent.
Hinzu kommt: China verfügt über seltene Erden – essenziell für Halbleiter und damit unverzichtbar für die Automobilindustrie. Deutsche Unternehmen leiden nicht nur unter eigenen Handelsspannungen mit den USA, sondern auch unter jenen zwischen den USA und China, bei denen Exportrestriktionen für seltene Erden als Druckmittel dienen. Zwar haben sich beide Länder auf einen „100-tägigen Frieden“ geeinigt, doch solche Abkommen sind fragil. Deutschland bleibt Zaungast – die Industrie hat ihre Rolle als Taktgeber eingebüßt und ist größeren Risiken ausgesetzt.
Die Industrieschwäche belastet außerdem den Arbeitsmarkt. In keinem Bereich ging die Beschäftigung so stark zurück wie in der Industrie, und Besserung ist kaum in Sicht. Die Beschäftigungsaussichten lagen im Oktober auf dem niedrigsten Wert seit Sommer 2020. Zwar mildert der demografische Wandel den Effekt, doch die Stagnation hinterlässt eben Spuren. Arbeitsmarktunsicherheit und niedrige gesamtwirtschaftliche Erwartungen halten die Sparneigung hoch, während die Kauflaune gedämpft bleibt.
Wer im Frühling nicht sät, wird im Herbst nicht ernten
Hinzukommt, dass die politische Unsicherheit über den Sommer zugenommen hat – Unstimmigkeiten in der Regierung, die immer stärker nach außen sichtbar werden, und Diskussionen über Sparmaßnahmen belasten die Investitionsbereitschaft. Der Optimismus, getragen von Infrastrukturpaket und Verteidigungsausgaben, ist Ungeduld gewichen: Der Konjunktur-Boost lässt bisher auf sich warten. Außerdem wurde bereits geplante Investitionen in das Sondervermögen verschoben. Sprich, wenn der Boost dann kommt, wird er etwas weniger stark ausfallen als anfangs erhofft.
Nichtsdestotrotz, das Investitionspaket der Bundesregierung wird einen zyklischen Aufschwung bringen, sobald die 500 Mrd. Euro ihren Weg in die Wirtschaft finden. Es wird allerdings vermutlich etwas länger dauern als noch vor einigen Monaten erwartet – im kommenden Jahr dürften sich die ersten Effekte wirtschaftlichen bemerkbar machen, in 2027 dann so richtig durchschlagen. Für echtes, nachhaltiges Wirtschaftswachstum und mehr Wettbewerbsfähigkeit braucht es allerdings auch echte, nachhaltige Reformen – und die lassen aktuell noch auf sich warten.
Die EZB macht es sich gemütlich
Die EZB sieht sich „in a good place“: die Inflation in der Eurozone nahe Zielwert, das Wachstum einigermaßen robust. Daher dürfte der Einlagenzins von 2 % vorerst bleiben.
Sollte sich der positive Effekt des Investitionspakets weiter verzögern, der Euro weiter an Stärke gewinnen und die importierte Inflation dadurch sinken, oder politische Turbulenzen in Frankreich und an den Finanzmärkten zunehmen, könnte die EZB jedoch erneut zum Handeln gezwungen werden.
Auch wenn es draußen kälter wird – für wirtschaftliche Gemütlichkeit ist der Sturm an Risiken noch zu groß. Sich zurückzuziehen wäre die einfache Lösung, doch die anhaltende Stagnation der deutschen Wirtschaft zeigt, wohin diese Strategie führt. Abwarten ist keine Option mehr. Was es braucht, um vom Zaungast wieder zum wirtschaftlichen Mitspieler zu werden, ist Mut zur Reform und eine zukunftsorientierte Strategie.