Kreislaufwirtschaft: Viel Schwung, viele Baustellen
13. Oktober 2025
Lesezeit: 6 Min
Die Idee der Kreislaufwirtschaft hat in den vergangenen Jahren erheblich an politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bedeutung gewonnen. Dennoch zeigt sich, dass Fortschritte häufig durch strukturelle und ökonomische Hürden gebremst werden. Ein Blick auf die wichtigsten Entwicklungen verdeutlicht, wie weit Europa und insbesondere Deutschland gekommen sind – und wo noch große Aufgaben warten.
Von einer Nischenidee zu einem zentralen Pfeiler der Nachhaltigkeitspolitik – so lässt sich der Aufstieg der Kreislaufwirtschaft in den vergangenen Jahren kurz beschreiben. In dieser Zeit gab es eine Fülle von Innovationen. Digitalisierung, Automatisierung und Künstliche Intelligenz verbessern die Sortierung von Abfällen, insbesondere bei Kunststoffen und Textilien. Und neue Verfahren erlauben es, selbst komplexe Verbundmaterialien zumindest teilweise in ihre Bestandteile zu zerlegen.
Es war im März 2020, die Corona-Krise nahm gerade ihren Anfang, als die EU-Kommission ihren Circular Economy Action Plan vorlegte. Verankert im Rahmen des europäischen Green Deal, schuf er die Basis für eine Vielzahl konkreter Initiativen. Heute, fünf Jahre später, ist daraus ein komplexes Regelwerk geworden. Es reicht von Ökodesign-Vorgaben über Quoten für Recycling bis hin zu Verboten von Einwegprodukten. Ergänzt wurde es durch sektorspezifische Regulierungen, etwa für Batterien, Textilien und Verpackungen.
2023 legte Brüssel mit dem Critical Raw Materials Act nach. Das Ziel war, Abhängigkeiten von kritischen Rohstoffen zu reduzieren, deren Recycling zu fördern und so langfristig die Versorgung zu sichern. Auch die Mitgliedsstaaten zogen nach. In Deutschland entstand die Circular Economy Roadmap, begleitet von einer nationalen Strategie zur Ressourceneffizienz. Die Kreislaufwirtschaft wird zunehmend nicht mehr nur als Abfallwirtschaft, sondern als ganzheitliches Transformationsmodell verstanden. Es geht darum, Ressourcen so lange wie möglich im Umlauf zu halten, Produkte reparierbar und recycelbar zu gestalten und Abfälle zu vermeiden.
Fortschritte: Von Urban Mining bis Product-as-a-Service
Europaweit haben Unternehmen und Forschungseinrichtungen die vergangenen Jahre genutzt, um Recycling smarter zu machen. Besonders sichtbar wird der Wandel im Bausektor: Mit mehr als der Hälfte aller Abfälle ist er der Gigant unter den Müllproduzenten. Doch statt Abrissbagger und Deponie setzt sich langsam ein anderes Vorgehen durch: „Urban Mining“, also das Bergen von Rohstoffen aus alten Gebäuden. Pilotprojekte zeigen, dass sich Beton, Stahl oder Holz vielfach wiederverwenden lassen. Deutschland gilt hier als Vorreiter, nicht zuletzt aufgrund seiner starken Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft.
Auch Geschäftsmodelle verändern sich. So gewinnen Reparatur- und Wiederverwendungsplattformen oder Product-as-a-Service-Modelle an Bedeutung. Bei letzterem bezahlt der Kunde für die Nutzung oder die Funktion, die ein Produkt bereitstellt. Eigentümer des Produkts bleibt das Unternehmen und ist deshalb daran interessiert, es langlebig, reparierbar und ressourceneffizient zu gestalten.
Gesellschaft: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Auch in der Bevölkerung ist das Thema angekommen. Reparaturcafés boomen, Second-Hand-Läden verzeichnen Rekorde, und selbst große Konzerne werben mit „Recyclinganteilen“ in ihren Produkten. Im Alltag zeigt sich jedoch ein anderes Bild: In Deutschland produziert jeder Mensch im Schnitt fast 500 Kilogramm Haushaltsabfall pro Jahr – Tendenz steigend. Der Verpackungsmüll nimmt zu, Onlinehandel und To-go-Kultur befeuern den Trend. Obwohl also die Verwertungsquoten hoch sind, gelingt es bislang kaum, den Ressourcenverbrauch absolut zu senken. Denn steigender Konsum und kurze Produktlebenszyklen machen die Erfolge des Recyclings zunichte.
Künftig muss der Abfallvermeidung also eine noch stärkere Rolle zukommen. Dabei ist in vielen Fällen das Produktdesign entscheidend. Nach wie vor sind zahlreiche Produkte schlecht reparierbar oder bestehen aus Materialkombinationen, die sich schwer trennen lassen. Solange sogenannte Design-for-Recycling-Prinzipien nicht konsequent umgesetzt werden, bleibt ein echter Kreislauf schwierig.
Das trifft auch zu, wenn die Nachfrage für recycelte Rohstoffe stockt. Viele Recyclingprodukte sind wegen schwankender Qualität und hoher Kosten im Wettbewerb mit günstigen Primärrohstoffen nicht konkurrenzfähig. Besonders bei Kunststoffen geraten Recyclingbetriebe immer wieder unter Druck, wenn nicht genug Nachfrage nach Rezyklaten herrscht. Das macht auch Investitionsentscheidungen schwierig. Denn innovative Recyclinganlagen oder neue Geschäftsmodelle sind kapitalintensiv. Fehlen finanzielle Anreize oder gibt es unklare politische Vorgaben, bremst das die Dynamik.
Helfen würde in vielen Fällen eine Harmonisierung. Denn zwischen den europäischen Ländern bestehen große Unterschiede in Sammel- und Recyclingsystemen. Selbst innerhalb Deutschlands mangelt es an einheitlichen Standards. Dazu kommt, dass digitale Rückverfolgbarkeitssysteme erst am Anfang stehen.
Ausblick: Ehrgeiziger Plan oder gelebte Realität?
Die EU hat ihre Ziele hoch gesteckt: Bis zum Jahr 2030 sollen Recyclingquoten steigen, Rezyklate verbindlich eingesetzt und Produkte langlebiger werden. Deutschland wird hierbei eine Schlüsselrolle spielen, sowohl durch seine starke Recyclingbranche als auch durch politische Gestaltungsmacht innerhalb der EU. Doch Experten warnen: Ohne klare Vorgaben, Mindestquoten und finanzielle Anreize droht der Schwung zu verpuffen. „Die Kreislaufwirtschaft ist eine Jahrhundertchance – aber sie muss politisch flankiert werden“, heißt es im Statusbericht Kreislaufwirtschaft 2024.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Die vergangenen fünf Jahre haben Europa und Deutschland bei der Kreislaufwirtschaft weit nach vorn gebracht. Politisch ist das Thema gesetzt, technologisch gibt es beeindruckende Fortschritte, gesellschaftlich steigt das Bewusstsein. Doch solange die Abfallmengen wachsen und Produkte schwer recycelbar bleiben, ist die Kreislaufwirtschaft eher ein ehrgeiziger Plan als gelebte Realität. Auch die Verbraucherinnen und Verbraucher sind gefragt: Mehrwegflaschen, reparierbare Geräte und der Verzicht auf Einwegprodukte sollten Teil einer breiten gesellschaftlichen Transformation werden. Die nächsten fünf Jahre werden zeigen, ob aus Vision wirklich Alltag wird.
Die Gesellschaft ist auf dem Weg zu einer CO2 neutralen Wirtschaft. Das gilt auch für unsere Firmenkunden und für die ING. Wir finanzieren jede Menge nachhaltiger Aktivitäten aber die nicht nachhaltigen überwiegen noch. Unseren Fortschritt sehen Sie auf Opens in a new tabing.com/climate.