(Keine) Turbulenzen voraus? Die Luftfahrtindustrie 2026
27. Oktober 2025
Lesezeit: 7 Min
Die Luftfahrt ist weit mehr als ein Verkehrsmittel: Sie verbindet Menschen, Märkte und Kulturen und ist dabei ein unverzichtbarer Treiber der globalen Wirtschaft. Gleichzeitig steht die Branche vor deutlichen Herausforderungen. Das Jahr 2026, aber auch die kommenden Jahre dürften daher anspruchsvoll werden.
Weltweit sichert die Luftfahrt-Branche Millionen Arbeitsplätze entlang komplexer Wertschöpfungsketten – von Flughäfen über Zulieferer bis hin zu Tourismusanbietern. Sie ist Standort- und Wirtschaftsfaktor gleichermaßen. Allein 2023 lag der wirtschaftliche Gesamtbeitrag der kommerziellen Luftfahrt laut Branchenverband IATA bei rund 3,5 Prozent des globalen BIP. Für exportorientierte Industrien und international vernetzte Unternehmen bleibt eine funktionierende Luftverkehrsinfrastruktur elementar. Jedoch steht die Branche auch vor deutlichen Herausforderungen: Trotz steigender Passagierzahlen und wirtschaftlicher Erholung nach der Pandemie, bremsen strukturelle Probleme, die verzögerten Lieferungen neuer Maschinen und Klimaziele die Branche aus. Nicht nur 2026, sondern auch die kommenden Jahre dürften daher anspruchsvoll werden.
Lieferverzögerungen und alternde Flotten, aber Licht am Ende des Tunnels
Positiv zu vermerken ist, dass die Passagierzahlen stetig steigen. Mittlerweile haben sie mit Ausnahme von Deutschland in Europa sogar die Höchststände von 2019 übertroffen. Und die Projektionen sehen auch künftig einen deutlichen Anstieg des Luftverkehrs. Allerdings kann die Branche mit dem Tempo derzeit nicht Schritt halten. Der Bedarf an neuen Flugzeugen übersteigt das Angebot deutlich. Im Mai 2025 meldete Airbus etwa einen Auftragsbestand von 8.617 Maschinen, davon fast 89 Prozent sogenannte Narrowbodies der A220- und A320neo-Familie. Boeing verzeichnete 6.528 offene Bestellungen, über 74 Prozent davon entfielen auf die 737 MAX-Serie. Das Analyseunternehmen Cirium schätzt derweil den weltweiten Bedarf in den nächsten 20 Jahren auf rund 46.000 Maschinen.
Die Ursachen dafür sind komplex: Zum einen gibt es mit Airbus und Boeing nur zwei ernstzunehmende große Hersteller von Mittel- und Langstreckenflugzeugen – die Produktionskapazitäten der beiden Unternehmen reichen nicht aus, um den weltweiten Markt zu versorgen. Zum anderen stand die Flugzeugproduktion während der Corona-Pandemie zeitweise komplett still, der Rückstand konnte in den Folgejahren nicht vollständig aufgeholt werden. Diese Produktionsrückstände treffen nun auf lange Lieferzeiten aufgrund voller Auftragsbücher und belasten die Branche zusätzlich. Schätzungen gehen daher davon aus, dass die aktuelle Lücke etwa 5.000 nicht gelieferte Flugzeuge umfasst. Sie fehlen für den Ausbau der Flotten und die notwendige Erneuerung.
Darüber hinaus belasten technische Probleme und ein globaler Fachkräftemangel die Wiederaufnahme des vollen Produktionsumfangs. Ein Beispiel ist Boeing: Das Unternehmen durfte aufgrund von Qualitätsproblemen zeitweise nur eine streng limitierte Zahl von neuen Maschinen ausliefern. Airbus hingegen leidet aktuell unter Problemen mit den Triebwerken bei seinen neuen Flugzeuggenerationen. Die Folgen sind deutlich spürbar: Airlines reagieren mit verlängerten Leasingverträgen – 2024 wurden 11 Prozent mehr Verträge verlängert als 2018 – und halten ältere Maschinen länger im Betrieb. Das Durchschnittsalter der weltweiten Passagierflotte stieg von 9,7 Jahren (2018) auf 11,3 Jahre (2024).
Dadurch steigt auch der Wartungsbedarf, der jedoch durch den anhaltenden Fachkräftemangel, insbesondere in der Instandhaltung, nicht einfach abgefangen werden kann. In Folge zwingen Probleme mit Triebwerken und längere Turnaround-Zeiten in der Wartung die Airlines, zusätzliche Flugzeuge außer Betrieb zu nehmen – bei ohnehin knappen Kapazitäten ein empfindlicher Schlag.
Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels: Trotz aller Probleme gelingt es Airbus und Boeing derzeit, ihre Produktion hochzufahren.
Nachhaltigkeit: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Neben den fehlenden Kapazitäten führt der Anstieg der Passagierzahlen auch noch zu einem weiteren Problem für die Luftfahrtbranche: dem Erreichen der Nachhaltigkeitsziele. Mit wachsendem öffentlichem und regulatorischem Druck wird die Dekarbonisierung der Luftfahrt zum entscheidenden Faktor für ihre Zukunftsfähigkeit. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) verursachte der Sektor 2023 rund 2,5 Prozent der weltweiten energiebedingten CO₂-Emissionen. Doch schon jetzt fällt es der Branche schwer, ihre Treibhausgasemissionen merklich zu reduzieren. Der erwartete Anstieg des Luftverkehrs dürfte die erwarteten Einsparungen bei den Emissionen deutlich übersteigen. Kurzfristig ist hier leider auch keine Besserung zu erwarten.
Auch dafür sind eine Reihe von Gründen ausschlaggebend: Die lange Lebensdauer von Flugzeugen – im Schnitt rund 25 Jahre – bedeutet, dass Flottenentscheidungen von heute den CO₂-Fußabdruck der nächsten Jahrzehnte bestimmen. Gleichzeitig sind sich Fachexperten einig, dass mit der derzeitig verfügbaren Technologie keine weiteren Effizienzsteigerungen mehr möglich sind. Für eine Reduktion der Emissionen sind stattdessen gänzlich neue Technologien notwendig. Der Zeit- und Kapitalaufwand für die Entwicklung neuer Konzepte sind jedoch beträchtlich. Bereits die Weiterentwicklung bestehender Modelle verschlingt Milliarden. Komplette Neuentwicklungen mit alternativen Antrieben – etwa Wasserstoff oder Hybridkonzepte – sind noch auf Jahre hinaus nicht marktreif. Im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln ist die Luftfahrt zudem komplexer. Batterielösungen wie im Nahverkehr etwa sind technisch nicht sinnvoll umsetzbar. Auch benötigen neue Technologien erst einmal die entsprechende Infrastruktur. So muss etwa Wasserstoff mit hohem Druck betankt und gelagert werden. An vielen Flughäfen ist dies gar nicht möglich, nicht zuletzt, weil die strengen Sicherheitskriterien dem entgegenstehen. Zudem ist grüner Wasserstoff in vielen Regionen knapp und teuer.
Sustainable Aviation Fuels in der Warteschleife
Die größten Hoffnungen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen ruhen daher auf Sustainable Aviation Fuels (SAF). Diese setzen zwar bei der Verbrennung CO₂ frei, sind aber über ihre Wertschöpfungskette deutlich nachhaltiger, insbesondere bei der Verwendung von Bio- oder synthetischen Rohstoffen. Entsprechend hat die EU für alle Flüge, die von europäischen Flughäfen starten, eine verpflichtende SAF-Quote von zwei Prozent vorgeschrieben. Sie soll bis 2030 auf sechs und bis 2050 auf 70 Prozent ansteigen. Doch noch ist die Verfügbarkeit von SAF gering, da die Nachfrage das Angebot bei weitem übersteigt. Wenn alle geplanten Kapazitäten wie erwartet realisiert werden, dürften sie aber ausreichen, um den erforderlichen Bedarf zu decken und die Vorgaben für 2030 zu erfüllen. Europäische Fluggesellschaften nehmen bisher eine Führungsrolle bei der Einführung von SAF ein. Ungelöst bleibt die Kostenfrage: SAF sind bis zu viermal teurer als konventionelles Kerosin. Treibstoff macht an den Gesamtkosten vieler Airlines 20 bis 35 Prozent aus – ein erheblicher Preisaufschlag also, bei dem nicht klar ist, inwiefern Airlines die Preissteigerungen an Kunden weitergeben können.
Immerhin: Die Branche verfügt über einen hohen Recyclinggrad. Fast alle Komponenten eines Flugzeugs – von der Turbine bis hin zur Kabinenausstattung – sind wiederverwertbar. In Kombination mit der langen Lebensdauer der Flugzeuge erhöht dies die Ressourceneffizienz beachtlich.
Branche vor ambitionierten Spagat
Die Luftfahrtindustrie sieht sich mit einem komplexen Spannungsfeld konfrontiert: Die Nachfrage steigt, doch Lieferengpässe und der Druck zur Dekarbonisierung halten an. Die Branche steht vor der Herausforderung, gleichzeitig in Kapazitätsaufbau, Technologieentwicklung und Nachhaltigkeit zu investieren. In einem wirtschaftlich volatilen Umfeld ein ambitionierter Spagat.
Insbesondere in Deutschland steht die Branche unter Druck, da hier der politische Rückenwind fehlt und hohe Steuern und Gebühren die Unternehmen belasten. Wenn der nachhaltige Umbau der Branche gelingen soll, braucht es ein neues Zusammenspiel von Industrie, Politik und Forschung.
Nur wenn es gelingt, diese Hebel gemeinsam zu bedienen, kann die Branche ihre wirtschaftliche Bedeutung sichern und gleichzeitig einen glaubwürdigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die kommenden Jahre werden entscheidend sein, ob die Luftfahrt den Sprung in ein neues Zeitalter schafft – oder in alten Strukturen gefangen bleibt.
Die Gesellschaft ist auf dem Weg zu einer CO2 neutralen Wirtschaft. Das gilt auch für unsere Firmenkunden und für die ING. Wir finanzieren jede Menge nachhaltiger Aktivitäten aber die nicht nachhaltigen überwiegen noch. Unseren Fortschritt sehen Sie auf Opens in a new tabOpens in a new tabing.com/climate.